Praxis für Psychosomatische Medizin
Psychotherapie - Psychoanalyse


Dr. med. Bernhard Palmowski, Berlin

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Ärztliche Psychotherapie (2006) 1:31-33

Ärztliche Psychotherapie und Psychosomatische Medizin

© Schattauer 2006

Psychotherapie - Pharmakotherapie - Psycho-Pharmako-Therapie!

B. Palmowski, C. Lahmann

Psychotherapie ist bekanntermaßen aufwändig und fordert einen hohen Einsatz - für die Patienten, die Kostenträger und auch die Therapeuten. Aus der Tradition der psychoanalytischen Therapie, Handeln zunächst zum Wort zu machen, die Übertragungsbeziehung möglichst wenig zu kontaminieren und Verschreibungen samt Konsequenzen (vor allem der Nebenwirkungen aber auch der Wirkungen) möglichst zu delegieren, war - und ist - es nicht unüblich, den Einsatz von Medikamenten insbesonders bei psychogenen und psychosomatischen Erkrankungen kritisch zu sehen. Nicht nur unter der Maßgabe der für jeden niedergelassenen Arzt durch die gesetzliche Krankenversicherung vorgegebenen Behandlungsprinzipien von Notwendigkeit – im engeren Sinne die Not, das Leiden wenden – Zweckmäßigkeit, d.h. dass das eigentliche Problem angegangen wird, und Wirtschaftlichkeit – dem sparsamen Einsatz der Ressourcen - ist die Pharmakotherapie als ein wichtiges Element bei der Verringerung von unmittelbarem Leiden mit zu berücksichtigen. Insbesondere auch die ethisch-moralischen Grundsätze unseres ärztlichen Handelns erfordern den Einsatz pharmakologischer Therapiemöglichkeiten, wenn diese zur Verbesserung des Gesundheitszustandes des Patienten beitragen können.

Im Hinblick auf die Medikation psychosomatischer Patienten ist im folgenden besondere Aufmerksamkeit sowohl auf die speziellen Substanzen wie auch auf die Dosierungen zu richten. Hier gibt es oft gravierende Unterschiede in qualitativer und quantitativer Hinsicht zu dem, was in der Behandlung psychiatrischer Patienten Standard ist. Erfahrungsgemäß können in der Psychiatrie geltende Dosierungen bei unserern Patienten bereits erhebliche Nebenwirkungen (bis hin zur Erhöhung des Suizidalitätsrisikos) auslösen, ohne daß der gewünschte therapeutische Effekt erreicht wird. Auch unter diesem Gesichtspunkt erscheint es fragwürdig, die Pharmakotherapie bei psychosomatischen und psychogenen Krankheitsbildern zu delegieren.


Die pharmakologische Perspektive

Generell gilt in der Medizin: medikamentöse Effekte treten in der Akutbehandlung rasch ein und können sehr effektiv sein. Psychotherapeutische Effekte sind in der Regel später zu beobachten, sind aber nachhaltiger. Sie sind phänomenologisch gekennzeichnet etwa durch das psychodynamische Verständnis des Symptoms als suboptimalem Lösungsversuch eines Konflikts. Die Therapie erfolgt durch Bewusstwerdung bzw. Erarbeiten alternativer Denk- oder Handlungsstrategien. Synergistische Effekte von Psycho- und Pharmakotherapie dürfen konstatiert werden. Dabei ist zu beachten, dass auch eine medikamentöse Therapie stets im Rahmen einer therapeutischen Beziehung erfolgt. Der Patient kann sich einerseits durch das Angebot einer "Medizin" ernst genommen und sich andererseits jedoch in seinem Beziehungswunsch zurückgewiesen und lediglich mit Tabletten vertröstet fühlen: das Rezept als Pseudozuwendung. Tabelle 1 fasst die unterschiedlichen Wechselwirkungen von Psychotherapie aus der Perspektive des Psychotherapeuten zusammen.


Tabelle 1

Wechselwirkung Pharmako- und Psychotherapie

  • Pharmakotherapie kann Psychotherapie ermöglichen

  • Pharmakotherapie kann Psychotherapie verhindern

  • UAW können Psychotherapie erschweren

  • Pharmakotherapie kann Kompensationsmöglichkeiten behindern

  • Pharmakotherapie kann emotionale Prozesse dämpfen

  • Pharmakotherapie kann inadäquate Attribuierung fördern


Wie stellt sich die Situation hinsichtlich der Wirkung objektiv im Sinne der Cochrane Kriterien evidenzbasiert dar?

Gut belegt ist der Einsatz von Psychopharmaka bekanntermaßen bei: Depressiven Störungen, Angststörungen, Zwangsstörungen, "klassischen" psychiatrischen Erkrankungen (z.B. Psychosen). Wenig Evidenz liegt bisher vor bei: Somatoformen Störungen, dissoziativen Störungen, spezifischen Phobien, Persönlichkeitsstörungen und Essstörungen. Neben der störungsorientierten Betrachtung der klinischen Wirksamkeit können Psychopharmaka nach der Dauer des Einsatzes differenziert werden:

1. Psychopharmaka, die nur kurzfristig eingesetzt werden sollen (z. B. Benzodiazepine)

2. die langfristig einsetzbaren (Antidepressiva) und

3. jene, die sowohl als auch einzusetzen sind (niederpotente Neuroleptika, Risperidol)

Leider muss rückblickend immer wieder festgestellt werden, dass mögliche Wirksamkeit aufgrund einer Fehldosierung nicht erzielt wird. Dies liegt oft (aber natürlich nicht nur) an der mangelnden Compliance. Die Erfahrung lehrt, dass 2/3 der Patienten von einem Medikament profitieren können, so es ausreichend lange -und hier denken wir eher in Monaten denn in Wochen - und in adäquater Dosis zum Einsatz kommt. Eine weitere Erfahrung ist, dass bei Ineffektivität des einzelnen Arzneistoffes die Kombination durchaus einen Sinn machen kann (aber erst, nachdem die Monotherapie ausgereizt ist). Manchmal kann auch ein symptomorientierter Mix sinnvoll sein: z.B. Citalopram zur Antriebssteigerung während des Tages mit Mirtazapin zur nächtlichen Beruhigung und Schlafverbesserung und einer synergistischen Stimmungsaufhellung.

Nebenwirkungen sind im Sinne des "nihil nocere" als Grundlage ärztlichen Handelns zu berücksichtigen. So sollten zumindest die Hauptsymptome des Patienten und die zu erwartenden häufigsten Nebenwirkungen des Pharmakons nicht identisch sein. Beispielsweise leiden viele depressive und ängstlich-depressive Patienten unter innerer Unruhe, Anspannung, Nervosität und einer Antriebsstörung, die häufig eher spezifisch, also bei differenzierter Abklärung punktuell konkretisierbar anforderungsbezogen ist (z. B. Examensarbeit, häusliche Aufgaben, Sozialkontakte etc.) und nicht unter einer generalisierten Antriebslosigkeit mit durchgehender Apathie oder Adynamie. Hier kann es beim Einsatz diffus antriebssteigernder Substanzen zu einer Verschlechterung der Zielsymptomatik kommen, mit unter Umständen konsekutiv zunehmender Suizidalität, wie von zahlreichen Autoren berichtet.

Hinsichtlich der klinischen Wirksamkeit fanden Geddes et al. 2005 in einer systematischen evidenzbasierten Cochrane Vergleichsübersicht von tricyklischen Antidepressiva (TCA: z. B. Amitriptylin, Doxepin oder Imipramin) mit SSRI Antidepressiva (z. B. Flouxethin, Citalopram oder Venlafaxin) in 98 Studien keine gesicherte Überlegenheit einer der Substanzgruppen. Eine von manchen Autoren reklamierte bessere Verträglichkeit von SSRI Antidepressiva scheint möglicherweise auf der in zahlreichen Studien für TCA gewählten, bei psychosomatischen Patienten viel zu hohen Dosierung von z. B. 150mg/d zu beruhen (procedural bias). In bemerkenswertem Kontrast zu den von Geddes et al. festgestellten Ergebnissen steht die drastische und ungebrochene Zunahme der verordneten SSRI Tagesdosen in den letzten Jahren: von 23 Millionen 1995 auf 250 Millionen im Jahr 2004. Im Hinblick auf eine rationale Arzneimitteltherapie ist diese Entwicklung überraschend. Dies betrifft sowohl das potentielle Risiko für Patienten bei Innovationen wie auch den erforderlichen Finanzbedarf. Festzuhalten ist hierbei, um ein Editorial im Lancet aus dem Jahr 2004 mit dem treffenden Titel "Depressing research" aufzugreifen, dass bei der Bewertung von Neuentwicklungen ein offenbar weitverbreiteter sogenannter prozeduraler sowie ein publikatorischer Bias zugunsten der neu vermarkteten Antidepressiva besteht. Nicht zuletzt deswegen wurde bei uns eine gesetzlich begründetes Zentralregister für klinische Studien eingeführt.


Die pekuniäre Perspektive

Im Zuge der Budgetierungen sind auch finanzielle Fragen stärker in den Blilckpunkt gerückt. Nicht immer steht hier die Wirtschaftlichkeit im Wettstreit mit der Zweckmäßigkeit. Gerade preiswerte Pharmaka können in Punkto erwünschter Wirkung und Arzneimittelsicherheit manchmal für den individuellen Patienten vorteilhaft sein. Die Quartalskosten können für einen Behandlungsfall bei Berücksichtung eines Dosisäquivalents z. B. für Antidepressiva zwischen 22,61 EUR für Amitriptylin und 30,76 für Trimipramin sowie 36,35 für Fluoxethin, 68,46 für Citalopram, 106,46 für Mirtazapin und 153,69 für Venlafaxin liegen.

Auch (mon)ethisch überlegt werden muss aufgrund der Arzneimittelrichtgrößen, dass die Situation in Praxen, die mehr als 90% Richtlinienpsychotherapieleistungen erbringen anders aussieht als in Facharztpraxen, die zwischen 90 und 60% Psychotherapie durchführen. Die Richtgröße pro Quartal liegt beispielsweise für Berlin in der ersten Kategorie bei 6,04 EUR (Rentner 28,42), in der letzteren mehr als doppelt so hoch bei 12,96 (Rentner 67,28). Die Frage darf an die KVen gestellt werden: wie können diese überkommenen und rückwärtsgewandten Budgetgrenzen zum Zwecke einer angemessenen Patientenversorgung in der Psychosomatik angepasst werden?

Es ist interessant, sich einmal vor Augen zu führen, wie viele Patienten einer psychosomatisch-psychotherapeutischen Praxis (ca. 50 Scheine, ca. 10% Rentner) infolge der Budgetbegrenzung mit dem zugeteilten Volumen ohne Regress behandelt werden können, wie das in der Tabelle 2 dargestellte Praxisbeispiel zeigt.


Tabelle 2

Die pragmatische Perspektive

Werden Medikamente eingesetzt, ist es eine alte Empfehlung in der klinischen Medizin sich bei der Vielzahl von Medikamenten auf einige wenige zu begrenzen, mit denen der Anwender bevorzugt Erfahrungen gesammelt hat und deren Wirkungen und Nebenwirkungen er damit im Verlauf aus der unmittelbaren Erfahrung heraus beurteilen kann. Eine Faustregel dafür könnte sein, für jede der klinisch notwenigen Anwendungen einige wenige sichere, nebenwirkungsarme Substanzen auszuwählen. Damit ließen sich die erforderlichen Medikamente im Prinzip an einer Hand abzählen (Calatzis und Loew, 2003). Wie gesagt: die Auswahl der Medikamente und die individuelle Dosierung sind dabei in der Psychosomatik oft anders als in der Psychiatrie.

Nach allgemeinen Überlegungen soll aber die Praxis nicht zu kurz kommen. Die Tabelle 3 gibt einige Hinweise, wie Pharmakotherapie bei Leitsymptomen in der Psychosomatik aussehen kann.


Tabelle 3

Syndrom

Arzneimittel

Dosierung

Akuter Angstanfall

Benzod.: z.B. Diazepam, or., sc., iv.

Niederpt. Neurolpt: z.B. Promethazin

10 mg b. Bed.

25 mg b. Bed.

Vegetatives Angstsyndrom

B-Blocker: z. B. Metoprolol

25 mg b. Bed.

Generalisiertes Angstsyndrom;
Depression mit inn. Unruhe, Druck und Antriebsstörung bzw. spez. Antriebslosigkeit;
Depression mit Schlafstörung;
Depression mit Ängstlichkeit; Depression mit Schmerzen

TCA: z B. Amitriptylin

10 mg abends
als Ausgangsdosis, schrittweise steigern

Depression mit Hypersomnie;
Depression mit durchgehender Apathie, Adynamie und
generalisierter Antriebslosigkeit;

SSRI: z. B. Citalopram

10 mg morgens
als Ausgangsdosis, schrittweise steigern

 

In der Zusammenschau gilt das in Tabelle 4 zusammengefasste:


Tabelle 4:

Lesen Sie die Packungsbeilage und...
... beachten Sie bei der Pharmakotherapie in der Psychosomatik:

  • Indikationsgerechter Einsatz

  • Einsatz stets im Rahmen eines therapeutischen Gesamtkonzepts

  • Keine leichtfertige Pharmakotherapie als Psychotherapieersatz

  • Beachtung der Interaktionen von Pharmako- & Psychotherapie

  • Falls möglich, Pharmakotherapie und Psychotherapie aus einer Hand

  • Präparate mit geringer Inzidenz an UAWs bevorzugen

Also, um es mit Kant zu halten: Habe den Mut, dich des eigenen Verstandes zu bedienen!


Literatur:

Antonuccio et al.: Antidepressants: A Triumph of Marketing Over Science. Prevention & Treatment 2002; Vol 5

Calatzis A., Loew T.H.: Weniger ist mehr: Auswahlkriterien für Psychopharmaka. Psychodynamische Psychotherapie 2003; 1-9

Capriana et al.(Edit.): Suicide, depression and antidepressants. BMJ 2005; Vol 330, 373-374

Fergusson et al.: Association between suicide attempts and selective serotonin reuptake inhibitors: systematic review of randomised controlled trials. BMJ 2005; Vol 330, 396-399

Ebert D, Loew T.: Psychiatrie systematisch. 6 Auflage, Bremen 2005

Geddes et al.: Selecitve serotonine reuptake inhibitors (SSRIs) versus other antidepressants for depression. The Cochrane Database of Systematic Reviews 2005; Issue 4

Kirsch et al.: The Emperor’s New Drugs: An Analysis of Antidepressant Medication Data Submitted to the U.S. Food and Drug Administration. Prevention&Treatment 2002; Vol 5

Luban-Plozza. B. Der Arzt als Arznei. Hans Huber, Bern, 1999

Melander et al.: Evidence b(i)ased medicine – selective reporting from studies sponsored by pharmaceutical industry: review of studies in new drug applications. BMJ 2003; Vol 326, 1171-1173

The Lancet (Edit.): Depressing Research. Lancet 2004; Vol 363, 1335

Whittington et al.: Selective serotonin reuptake inhibitors in childhood depression: systematic review of published versus unpublished data. Lancet 2004; Vol 363, 1341-5

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