Praxis für Psychosomatische Medizin
Psychotherapie - Psychoanalyse


Dr. med. Bernhard Palmowski, Berlin

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BZ Nr. 256/45, 122. Jahr / Dienstag, 3. November 1998

Wie Brigitte K. den langen schleichenden Tod besiegt hat

Von Claudia Lux


Berlins Ärzte
18. Folge. Die Kämpfer gegen Depressionen

Die Gesundheit ist das Wichtigste – und der richtige Arzt. Deshalb bringt die BZ den umfassenden Gesundheitsreport. In 30 Folgen stellen wir Ihnen Berliner Ärzte und Kliniken vor, die uns Mediziner, Fachjournalisten und Patienten genannt haben.

 

 

 

         

Wie viele leiden in Deutschland darunter?
Zur Zeit geschätzte 2,4 Millionen Menschen. Aber nicht mal jeder fünfte Kranke wird richtig behandelt. Weltweit leiden etwa zehn Prozent der Patienten, die zum Arzt in die Praxis kommen, unter einer Depression. Erkannt wird sie nur bei jedem zweiten von ihnen, behandelt bei jedem vierten.

Frauen erkranken häufiger als Männer
Wie wahrscheinlich ist es, im Laufe seines Lebens depressiv zu werden? Zwischen 5 und 12 Prozent. Depressionen treten meistens zwischen dem 40. und 45. Lebensjahr auf, Frauen sind etwa doppelt so oft betroffen wie Männer.

Die Anzeichen der Depression
Abgeschlagenheit, Schlafstörungen, Appetitlosigkeit, körperliche Beschwerden, keine Lust auf Sex, Konzentrationsschwierigkeiten, Passivität, Gefühl der Leere, Sinnlosigkeit und Schuld, Selbstvorwürfe, Abkapselung, quälende Niedergeschlagenheit, innere Unruhe.

Die Chemie der Schwermut
Serotonin ist einer der Botenstoffe, mit dem sich Nervenzellen untereinander verständigen. Depressive Menschen haben Serotonin-Mangel, der ihre Seele aus dem Lot bringt. Moderne Antidepressiva Sorgen dafür, daß die Nervenzellen wieder über genug Serotonin verfügen


Ich habe Angst vor diesem Interview. Ich treffe eine Frau, die einen schweren Selbstmord-Versuch unternommen hat. Es war am 23. Mai 1992. Drei Wochen, nachdem sich meine Mutter das Leben genommen hat.

Man redet nicht über den Tod, den ein Mensch durch eigene Hand provoziert hat. Man redet über das Wetter, über den Chef, über Sex. Aber nicht über Suizid. Und wenn du es trotzdem tust, dann gucken dich die Menschen so entsetzt an, als hättest du ihnen gerade deine schmutzige Wäsche gezeigt.

Auch Brigitte K. mußte durch diese Hölle gehen, weil niemand begreifen wollte. Depressionen, der lange, schleichende Tod.

An jenem 23. Mai 1992 kam Brigitte K. nach einer psychosomatischen Kur zurück nach Berlin. Sie stellte die Koffer im Flur ab, setzte sich auf die weiße Couch vor den Glastisch. Da war nur diese Leere in ihr. "Was machst du jetzt?" dachte sie. Brigitte K. holt die Flasche Toscana-Rotwein aus dem Schrank. Jahrgang 1951, wie sie. Ein Freund hat sie ihr mal "für besondere Anlässe" geschenkt.

Sie gießt den Wein in eine Karaffe, stellt ein Weißbierglas und die Tabletten, die sie gehortet hat, daneben. Nach jeder fünften Pille ein Schluck Rotwein. Bei 600 hört sie auf zu zählen.

Brigitte K. ist weit weg, wenn sie das erzählt. Sie hat ja nicht mal mit ihrer Familie darüber gesprochen. Das interessiert keinen, sagt sie. Sie weint. Es sind Tränen, die aus der Vergangenheit kommen. Tränen, die jetzt heilen. Tränen, die sie damals noch nicht weinen konnte.

Brigitte K. fällt ins Koma. Ihr Körper sackt auf den Glastisch, das Weißbierglas bohrt sich in ihre Brust. Acht Tage liegt sie dort bewußtlos. Dann findet ihre Tochter sie.

Ihre schönen Hände mit den langen, zarten Fingern halten einander fest. Sie massieren, sie kneten, sie tasten.

Wir sitzen in derselben Wohnung, in der Brigitte K. an jenem 23. Mai 1992 "bloß noch schlafen wollte". Dort, wo es in ihrem Kopf hämmerte, "ich bin nichts wert, mich braucht sowieso keiner".

Die Wohnung ist nicht mehr dieselbe, sagt sie. Die weiße Couch ist weg, der Glastisch, alles hat sich verändert. Brigitte K. auch, "ich bin ein ganz anderer Mensch geworden".

Die schönen Hände fahren durch die kurzen Haare. Immer wieder und immer wieder.

Brigitte K. kommt ins Krankenhaus. Zähne und Lippen kaputt, Liegegeschwüre, abgepreßte Nerven. Und das Glas, das in der Brust steckt. "Ihre äußerlichen Wunden", sagt der Arzt zu ihr "kriegen wir hier wieder hin. Aber die inneren Wunden, die müssen woanders geheilt werden."

Es ist das erste Mal, daß jemand wirklich merkt, was mit Brigitte K. los ist.

Als sie elf ist, stirbt ihr Vater. Brigitte K. spürt sie zum ersten Mal, diese tiefe Traurigkeit. "Er hat mich verlassen", denkt sie. Die Mutter nimmt die Geschwister in den Arm, aber nicht Brigitte.

Mit 15 lernt sie einen Mann kennen. Er ist 20, häßlich, keiner kann ihn leiden. Aber er ist für Brigitte da. Er nimmt sie in den Arm, kümmert sich, hört zu. Er ist ihr Fluchtpunkt von zu Hause, wo es für Brigitte keinen Halt gibt, sie nie diese bedingungslose und zuverlässige Liebe spürt, mit der eine Mutter ihr Baby liebt,

Als Brigitte K. die erste Nacht von zu Hause wegbleibt, schneidet die Mutter ihr den Zopf überm Gummiband ab.

Sie ist 17, als ihre Tochter geboren wird. Sie soll das Baby zur Adoption freigeben. Aber dann kümmert sich ihre Mutter um das Baby. "Ich hätte es am liebsten für mich behalten", sagt Brigitte K.

Ein neuer Mann. Einer, der nicht den besten Leumund hat. Die Tochter wächst bei der Großmutter auf, Brigitte K. macht eine Lehre, arbeitet sich nach oben. "Ich habe Erfolg, leiste was, liebt meine Mutter mich jetzt?"

Mit 30 der erste Selbstmordversuch. Ihre Beziehung ist zerbrochen. Ein Wink. Magen ausgepumpt, wieder nach Hause. Die Familie schweigt.

Es ist die Zeit, in der die Depressionen schlimmer, die Weinkrämpfe häufiger werden. Brigitte K. spielt die Fröhliche. Nach außen "der Pausen-Clown", innen "nur Leere, alles wie eingeschlafen".

Sie kann ihre Beine nicht mehr bewegen, fällt eines Tages um. Ihr neuer Freund merkt nichts. Brigitte K. heult sich auf dem Friedhof aus oder in der Sauna. Da sieht sie sie zum ersten Mal in ihrer inneren Landschaft, "diese Gesichter, die mich belauern, die zwei Augen und der Mund". Der Mund ist immer zu.

In dieser Zeit fängt auch das mit dem Alkohol an. Die Sehnsucht nach Ruhe und Zufriedenheit, "du spürst den Schmerz und deine Verletzungen nicht mehr".

Dann kommen die Tabletten dazu. Valium 10, unter der Hand besorgt, sechs bis zwölf Stück schluckt Brigitte K. am Tag. Immer nur im Juni, sie blickt nicht mehr durch, verliert ihren Job.

An jenem 23. Mai ist Brigitte K. am Ende angekommen. Es ist der Beginn ihres neuen Lebens, auf das sie stolz ist.

Vier Jahre dauerte die psychoanalytische Gruppentherapie der Brigitte K., die Heilung dieser zutiefst verletzten und kranken Seele.

Am Anfang hat sie nicht die Kraft, zu den Sitzungen zu gehen. Sie muß gebracht und abgeholt werden.

Sie lebt von Donnerstag zu Donnerstag. Kurz vor und nach den Sitzungen geht es ihr gut. In der Zeit dazwischen liegt sie zu Hause, hinter abgedunkelten Fenstern, weil sie die Sonne und den hellen Tag nicht ertragen kann, denn in ihr herrscht tiefe Nacht.

Seit zwei Jahren schafft es Brigitte K. ohne Therapie. Sie lernt, ihren Weg allein zu gehen, ist stark genug dazu, zu weinen und auch wieder glücklich zu sein.

Ihre innere Landschaft birgt jetzt "das Elbsandsteingebirge mit den drei Felsen, die ich überwinden will, aber nicht außen rum, sondern oben drüber".

Die Narbe von dem Glas, das in ihrer Brust steckte, hat sie noch. Brigitte K. läßt sie sich nicht entfernen. Das ist ihr Pfand für das, was hinter den drei Felsen liegt.

Wir sitzen wieder in ihrem Wohnzimmer. Brigitte K. liest die Geschichte ihres Lebens, das an jenem 23. Mai 1992 fast beendet gewesen wäre. "Ich werde es nie wieder tun", sagt sie.




 

Wie Dr. Palmowski die Schatten aus der Seele seiner Patienten vertreibt


Es ist ungewöhnlich warm in diesem Charlottenburger Altbauzimmer. Vor den Fenstern im zweiten Stock der Droysenstraße 5 verhüllen weiße Jalousien das nackte, kalte Schwarz eines stürmischen Novemberabends.

Sanftes Licht tröstet die kranke Seele wie eine weiche Decke. Ein Raum der Ruhe und der Stille und der klaren Ordnung, in dem nichts die Gedanken ablenkt, sich alles auf die Innenweiten konzentriert.

Hinter dem schlichten Schreibtisch (dunkle Glasplatte, Eisengestell) sitzt Dr. Bernhard Palmowski, 47. Auf eine seltsame Weise ist der Arzt Teil dieses Zimmers.

Das Schwarz seines Pullis und das Weiß seines Hemdes, die dunklen, warmen Augen und die schwarzen Haare verschmelzen mit dem Raum, in dem er die verletzte Psyche heilt.

Der Psychoanalytiker. Strohhalm für Menschen, deren innere Landschaft zu einem Alptraum geworden ist, die ihren Weg nicht mehr aus dieser unvorstellbar tiefen Dunkelheit finden können, die ihre Seelen beherrscht.

Depressionen, die Ohnmacht der Gefühle bei vollem Bewußtsein. Ein Zustand, der für die Patienten so unerträglich ist, daß ihnen der Tod als ein lieber Gefährte erscheint.

Palmowski schickt sie auf die Reise zum Ich, läßt sie die Verletzungen und Qualen wieder und wieder durchleben, in diesem beschützten Raum, in dem sie keine Angst mehr haben müssen vor den Konflikten, die ihre Psychen in tausend Bruchstücke zersplittert haben.

"Macken-Doktor" nennen ihn manche seiner Patienten, "so was muß ich mir anhören", sagt Palmowski und lacht.

Was ist er dann also, der Mann der sechs Jahre Medizin studierte, dann die siebenjährige Facharztausbildung zum Internisten absolvierte und sich danach noch mal neun Jahre zum Facharzt für Psychotherapeutische Medizin und Psychoanalytiker weiterbildete?

"Der Psychoanalytiker", sagt Palmowski in seiner bedächtigen Art, "ist ein absolut zuverlässiger, kompetenter, starker Partner. Jemand, der mich mit meinem Haß, meinen unerträglichen, manchmal kleinen und häßlichen Seiten verstehen kann, der es mit mir aushält."

In seiner Zeit in der Inneren Medizin machte Palmowski die Erfahrung, daß "das Seelische bei schweren Erkrankungen eine riesige Rolle spielt". Aber es ist nicht die vordringliche Aufgabe eines Internisten, sich um die Psyche des Patienten zu kümmern, damit die Kranken wieder das Leben und das Lachen und sich selbst finden.

Auf seinem Schreibtisch liegen Stethoskop und Reflex-Hammer, vor ihm ein Schreibblock, kariert.

Die Taschentücher holt er bei Bedarf aus der Schublade, ganz ruhig, fast lautlos sind seine Bewegungen dabei. Palmowski öffnet die Packung, zieht ein Tempo halb raus, reicht es dem Patienten rüber, als würde er ihm eine Zigarette anbieten. Wie ein Pflaster wirkt seine Geste, so schützend, so selbstverständlich, so stumm.

Er kann auch anders, sagen seine Patienten. Er kann quälen, und sie hassen ihn dafür. Das müssen sie, um wieder gesund zu werden. Der Psychoanalytiker kann damit umgehen. Das hat er gelernt, Stellvertreter zu sein für Hunderte, Tausende von Müttern, Vätern, Ehemännern, Freunden, die einen verlassen, nicht genug gestreichelt, geliebt haben.

Über der Psycho-Couch (schwarzes Leder, naturfarbene Kissen, Decke) in Palmowskis Sprechzimmer hängt ein kleines Landschafts-Aquarell.

Wenn sie hier liegen und mit dem Arzt auf die schmerzhafte Expedition in die Tiefen ihrer Seele gehen, dann wird das Bild zur Vision eines neuen, stärkeren Ichs. Es gibt ihnen Trost und Ruhe und Kraft in diesem schweren Moment, wenn sich die verkrusteten Wunden wieder öffnen.

Wie verkraftet man es so in die Menschen hineinzugucken? Ist das Liebe? Da ist einerseits die professionelle Routine, die Top-Ausbildung, meint der Arzt. Aber "da ist auch die Freude, mit Menschen umzugehen". Palmowski lächelt. "Man kann es Liebe nennen, ja."

Und wie sieht die Gefühlswelt eines Psychoanalytikers aus? Kennt er Lebenskrisen, Depressionen? "Sicher", sagt er, "nur ein Blinder weiß nicht, was Farben sind. "



Dr. med. Bernhard Palmowski ist Vorsitzender des Landesverbands Berlin-Brandenburg der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie (DGPM).