Praxis für Psychosomatische Medizin
Psychotherapie - Psychoanalyse


Dr. med. Bernhard Palmowski, Berlin

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Berliner Zeitung - Nummer 84 - Montag, 12. April 2010

BURN-OUT



Maßlos überfordert

Die psychischen Erkrankungen unter den Studenten nehmen zu
Oft ist Hilfe dringend nötig

Von Laura Réthy




"Ich fühle mich oft maßlos überfordert, habe wenig Zeit zum Schlafen und spüre täglich Druck, wenn ich in die Uni gehe." Lea ist 22 Jahre alt. Sie studiert Französisch und Geschichte auf Lehramt. Ihr Ziel ist der Master of Education. Sie ist im vierten Semester - eine gute Studentin. Doch leider fühlt sie sich krank. Sie leidet unter dem Burn-out-Syndrom, einem körperlichen und emotionalen Erschöpfungszustand. Zu viel hat sie sich zugemutet, zu viel hat man von ihr erwartet.

Lea ist kein Einzelfall. Die Verbreitung des Syndroms hat in den letzten Jahren zugenommen. "Wir haben 30 Prozent mehr Anfragen als noch zu Zeiten des Magisters", sagt Burkhard Seegers, psychologischer Berater des Studentenwerks Berlin. Für ihn ist klar: Dass der Beratungsbedarf so stark gestiegen ist, steht in direktem Zusammenhang mit der Einführung von Bachelor und Master. "Die Studenten kommen jetzt viel eher zu uns. Während sie früher in der Abschlussphase einige Stressmomente überbrücken mussten, kommen sie jetzt schon zum zweiten, manchmal sogar zum ersten Semester."

Man muss sich über eine solche Entwicklung nicht wundern. Die Belastung für die Studierenden hat zugenommen. Es besteht Anwesenheitspflicht bei den Vorlesungen, es gilt das Motto: Wer zu langsam ist, fliegt raus. Auslandsaufenthalte und Praktika werden vorausgesetzt, dazu kommt der finanzielle Druck. Burkhard Seegers stellt eine klare Rechnung auf: "Wenn ich nebenbei arbeiten muss, um mein Leben zu finanzieren, dann muss ich einfach planen: mit zehn Stunden in der Woche oder fünfzehn oder zwanzig." Diese Arbeitszeit gehe vom Studium ab und dazu auch noch die Zeit, die man brauche, um sich von der Arbeit zu erholen, sagt Burkhard Seegers. "Das alles muss ich dann irgendwo wieder hinten dransetzen, und dann habe ich eine realistische Planung." Eine Planung, die sich aber mit den Vorgaben des Studiums kaum vereinen lässt.


Ehrgeizige Charaktere

Lea war immer eine gute Schülerin und wollte auch im Studium nicht nachlassen. Sie war engagiert, ehrgeizig, ging nebenher noch jobben - bis ihr Körper die Notbremse zog. "Ich war ständig müde, hatte keine Energie für gar nichts mehr. Nicht mal für Dinge, die mir sonst Freude bereitet haben. Ich wollte nicht mehr unter Leute gehen, niemanden sprechen. Meinen Freund habe ich immer öfter weinend nach Hause geschickt." Als Lea die Diagnose Burn-out bekommt, vergräbt sie sich zu Hause. Es ist nicht einfach für sie, zu akzeptieren, dass sie unter einer psychischen Erkrankung leidet. Burn-out lässt sich nicht auskurieren wie ein Schnupfen. Immer öfter kann sie morgens nicht aufstehen und ist einfach traurig. An manchen Tagen denkt sie daran, ihr Leben zu beenden. Für Außenstehende ist das oft nicht zu verstehen. Sie hat eine tolle Familie, einen Freund und super Noten. Was will man mehr?

Bernhard Palmowski ist Facharzt für Psychosomatische Medizin. Er behandelt in seiner Berliner Praxis Menschen mit psychischen Erkrankungen. Ein Burn-out-Fall wie Lea ist für ihn ganz typisch. "Oft sind es sehr leistungsorientierte und sehr ehrgeizige Charaktere, die einen ganz hohen Anspruch an sich selbst haben und auch sehr streng mit sich sind", sagt er. Perfektionismus, gepaart mit einem Studium, das keine Pausen zulässt. Denn die Arbeitswelt wartet nicht. Die Anforderungen an Absolventen haben stark zugenommen. Der Lebenslauf muss lückenlos, die Berufserfahrung groß sein. Hier bleibt kaum Zeit für persönliche Entfaltung, kaum Raum für intellektuellen Anspruch und eigene Initiative.

Die extreme Verschulung des Studiensystems soll dafür sorgen, dass jeder Student schnell und reibungslos durch das Studium kommt. Bloß keine unnötigen Umwege gehen! Doch die Psyche ist für solch ein System nicht gemacht. "Alles das, was die Wirksamkeit der eigenen Initiative und alles, was die eigene Autonomie einschränkt, wirkt in der Tendenz krankmachend, weil es das Gefühl der Hilflosigkeit befördert", sagt Bernhard Palmowski.

Dass etwas geschehen muss, ist eindeutig. Doch wo ist der Ansatz? Denn das Problem betrifft nicht nur die Universitäten. Schon in der Schule beginnt der Leistungsdruck. Dann folgt ein kurzes durchgeplantes Studium - in fünf Jahren bis zum Master. Anschließend soll es direkt und reibungslos in den Job gehen.

Eines wird deutlich: Das Burn-out-Syndrom ist das Ergebnis einer Leistungsgesellschaft, die von ihren Heranwachsenden immer mehr erwartet. Sie müssen mehr leisten, schneller sein, besser sein. Diese Tatsache hat sich bereits so tief im Bewusstsein der Menschen manifestiert, dass sogar die Krankheit selbst gesellschaftsfähig geworden ist. Man kann darüber sprechen. "Zum Glück", sagt Bernhard Palmowski. "Die Betroffenen haben eher den Mut, zum Arzt zu gehen und sich zu offenbaren und sich Hilfe zu holen. Und je mehr man drüber reden kann, umso besser für denjenigen. Das ist einfach eine enorme Entlastung."


Auf die Ressourcen achten

Doch im Grunde hätte es nicht so weit kommen dürfen. Die Studentenproteste des Wintersemesters waren auch ein Ausdruck des Unmuts gegenüber einer überstürzten, nicht selten verfehlten Reform. Die Gesellschaft hat begonnen, darüber zu diskutieren. Erste Veränderungen an den Universitäten stehen an. Doch was kann man als Student schon jetzt tun, um sich trotz des vollen Stundenplans und der hohen Erwartungen nicht völlig zu überfordern? Denn das Pensum muss erfüllt sein, sonst gibt es keinen Schein und am Ende auch keinen Abschluss.

Lea hat begriffen, worauf es ankommt: "Die Uni ist nicht das Leben. Was bringt es denn, wenn ich wirklich alle Energie in das Studium stecke, dort 1,0 abschneide und mich gar nicht außerhalb der Uni orientiere. Man muss sich einfach die Zeit nehmen." Burkhard Seegers empfiehlt Studenten, sich erst einmal selbst einschätzen zu lernen. "Es geht ja erstmal darum, sich die Realität anzugucken. Das heißt, ich muss sehen: Wie sind meine Ressourcen. Die finanziellen und die emotionalen Ressourcen."

Gerade bei jungen Studenten spielt die emotionale Ebene eine sehr wichtige Rolle. Oft sind sie das erste Mal weit weg von zu Hause, kommen in eine Großstadt wie Berlin, müssen sich ein neues soziales Netzwerk aufbauen. Das ist mit viel Angst und Verunsicherung verbunden. Solche Erfahrungen muss jeder Mensch einmal durchmachen. Aber sie haben in einem Vollzeitstudium keinen Platz. Seegers hofft auf mehr Verständnis. "Den Universitäten muss immer wieder klar werden, dass jemand, der am Anfang des Erwachsenenlebens steht, eben das eine oder andere Problem haben kann. Die Herren und Damen von den Universitäten sollten sich gelegentlich mal daran erinnern, wie es bei ihnen früher war."




Von Laura Réthy