| |
Rundfunk Berlin-Brandenburg: QUIVIVE, 29.11.2006
THEMA: KAUFSUCHT,
ARBEITSSUCHT, SPIELSUCHT
Kaufsucht, Arbeitssucht, Spielsucht – wenn
Alltagsgeschäfte entarten
Die Übergänge sind fließend. Wenn
jemand für sein Leben gern einkaufen geht – ist er dann kaufsüchtig? Sucht
zeichnet sich dadurch aus, dass ein Betroffener sein Verlangen nicht mehr
kontrollieren kann.
Kaufen, Arbeiten und Spielen kann süchtig machen? Für nicht Betroffene ist das
schwer zu begreifen.
Arbeitssucht
Die Arbeitsucht bezeichnet eine Krankheit, bei der jemand süchtig nach Arbeit
ist. Überdurchschnittlicher Arbeitseinsatz ist an sich ist noch keine
Krankheit. Erst wenn der Betroffene Suchtverhalten an den Tag legt, wird es
pathologisch.
Ein gesunder arbeitender Mensch sieht in seiner Arbeit eine Bereicherung seines
Lebens. Er finanziert damit in der Regel seinen Lebensunterhalt. Daneben hat er
noch andere Interessen, er hat Freunde und Familie.
Der Arbeitssüchtige dagegen hat nur einen wahren Lebensinhalt: seine Arbeit.
Alles um ihn herum ist auf seine Arbeit hin ausgelegt, er bringt kein Interesse
für andere Dinge und Menschen auf.
Der Schlüssel zum Verständnis des Phänomens Arbeitssucht liegt in der
Einstellung der jeweiligen Person zur Arbeit. Wenn wir beginnen, uns ausschließlich
über die Arbeit zu definieren, sogar unsere Daseinsberechtigung allein über
unser Engagement im Job abzuleiten, bekommt die Arbeit in unserem Leben ein zu
großes – und damit sehr häufig ungesundes – Übergewicht. Sehr oft führt
das zu einem Gefühl von Wertlosigkeit, wenn wir nicht genug leisten und damit
zu einem stetig steigenden Anspruch an uns selbst, der in eine Arbeitsspirale führt,
an deren Ende der Zusammenbruch steht.
Die Krankheit schreitet schleichend voran. Fachleute unterteilen die
Arbeitssucht in vier verschiedene Stadien: Zuerst nimmt die Arbeit mehr und mehr
Zeit in Anspruch. Dabei macht die Arbeit Spaß. Der Erfolg oder auch das
Geschaffte macht Freude und bringt Ansporn. Das Gefühl, wichtig zu sein und
gebraucht zu werden wird als sehr positiv wahrgenommen. Freizeit wird immer
knapper und auch in arbeitsfreien Momenten denkt der Betroffene viel an seine
Pflichten am Arbeitsplatz.
In der nächsten Phase werden alle privaten Unternehmungen, Beziehungen und
Hobbies der Arbeit untergeordnet.
Bis hierhin kennt das vielleicht ein jeder. Aber normalerweise hält so eine
Phase nur kurz an. Ist jemand arbeitssüchtig, hält dieser Zustand über lange
Zeit an. Soziale Kontakte werden komplett gestrichen. Alles Private hat keine
Bedeutung mehr.
In der nächsten und letzten Phase wird deutlich, dass das auf Dauer nicht so
geht. Die Leistungsfähigkeit erhält einen Knick, körperliche Beschwerden
melden sich an. Bald fällt auf, dass durch die pausenlose Arbeit Prioritäten
verloren gehen, Unwichtiges einen großen Raum einnimmt. Das Unerledigte wird
immer mehr und muss aufgeschoben werden. Umgekehrt steigt der Druck durch viele
vor sich her geschobene Aufgaben und verhindert Ruhe und Entspannung. Ein
Teufelskreis entsteht.
Es geht so weit, dass die Arbeitssucht als Todesursache ihren Platz gefunden
hat. Meist ist die direkte Todesursache als Folge der Überarbeitung
Herzversagen, Herzinfarkt oder Schlaganfall. Davon betroffen sind mehr Selbstständige
und Menschen in leitenden Funktionen als Angestellte.
Obwohl die Arbeitssucht natürlich eine Entwicklung unserer heutigen Zeit ist,
beschrieb bereits 1852 Gustav Flaubert seine "frenetische, pervertierte
Liebe" zur Arbeit. 1990 hat das japanische Arbeitsministerium bestätigt,
dass Arbeitssucht zum Tod führen kann. Die Japaner bezeichnen diese Krankheit
als Karoshi, Tod durch Überarbeitung. Japan hat bereits über 350
Behandlungszentren für Arbeitssüchtige eingerichtet.
Ursprung der Arbeitssucht
Schon in der Kindheit können prägende Beziehungen zu süchtigem Verhalten
beitragen. So kann sich aus der übersteigerten Identifikation mit einem
besonders tüchtigen und erfolgreichen Elternteil der Wunsch entwickeln, ebenso
erfolgreich zu werden. Alles im Leben richtet sich darauf aus, alles perfekt zu
machen und stets die Bewunderung anderer zu erhalten. Versagensangst und
Rollenunsicherheit kommen verstärkend hinzu.
In unserer leistungsorientierten Gesellschaft ist es schwer, die Arbeitssucht
als Krankheit zu definieren. So wird doch unermüdlicher Einsatz und langes
Bleiben im Büro gerne von Vorgesetzten gesehen oder von Untergebenen bewundert.
Umso schwerer ist es für den Betroffenen, sich seiner Sucht bewusst zu werden
und sich dazu zu bekennen.
Die Krankheit, die Frauen und Männer gleichermaßen befallen kann, muss dann
behandelt werden. Sehr hilfreich sind dabei Selbsthilfegruppen, die nach dem
gleichen Prinzip der Anonymen Alkoholiker arbeiten. Diese haben nach vielen
Jahren Erfahrung Punkte zusammengestellt, die darauf hinweisen, dass mit dem
normalen Verhältnis zur Arbeit etwas nicht stimmt:
• Du hast Angst vor der Arbeit und brauchst lange, um endlich anzufangen.
• Du kannst dich nicht auf die Arbeit konzentrieren und verzettelst dich oft.
• Du nimmst dir viel zu viel vor und arbeitest bis zur völligen Erschöpfung.
• Du beurteilst dich und deinen Tag fast ausschließlich nach der Menge der
geleisteten,
mehr noch: der nicht geleisteten Arbeit.
• Dein Perfektionsanspruch lähmt dich oft völlig bei der Arbeit.
• Du weist Kontakte, Einladungen und Unternehmungen mit dem Hinweis auf
"zuviel
Arbeit" zurück.
• Du kannst zwischen Freizeit und Arbeitszeit nicht trennen und denkst auch in
der
Freizeit dauernd an die Arbeit (und umgekehrt).
• Du stehst häufig unter Zeitdruck.
• Du möchtest möglichst viel in kurzer Zeit und mit geringem Aufwand
erreichen.
• Du glaubst, "erst etwas leisten" zu müssen und dir dein
Lebensrecht durch Arbeit
beweisen zu müssen.
• Du schämst dich deiner Arbeitsschwierigkeiten oder Arbeitssucht und magst
mit
niemandem darüber sprechen.
Jeder von uns kennt eines oder mehrere dieser Symptome. In der Selbsthilfegruppe
wird mit einem Zwölf-Schritte-Programm versucht, den Schwierigkeiten zu
begegnen und wieder normal mit der Bedeutung von Arbeit und Freizeit umzugehen.
Spielsucht
Bei der Spielsucht läuft das Schema fast gleich ab. Nur hier steht das Glücksspiel
im Mittelpunkt. Alles andere im Leben des Süchtigen hat keine Bedeutung mehr.
Glücksspiele üben einen großen Reiz aus: der Traum vom großen Geld und plötzlichen
Reichtum - diese Mischung aus Nervenkitzel und Fantasie macht den Reiz des Glücksspieles
aus. Für die einen ein kurzweiliges und meist seltenes Vergnügen, für die
anderen wird das Spielen um Geld zum Problem, zur Krankheit und zur Sucht.
Die Angaben zur Zahl der Spielsüchtigen in Deutschland variiert sehr stark. Das
hängt sicher damit zusammen, dass es eine sehr hohe Dunkelziffer gibt und die
Definition manchmal schwer ist. Zahlen zwischen 200.000 bis 400.000 werden
angegeben. Tendenz steigend, denn es locken immer mehr Angebote zum schnellen Glück.
Gerade vor dem eher neueren Medium Internet warnen Experten.
Krank ist es, wenn der Alltag des Betroffenen nur von dem Gedanken beherrscht
wird zu spielen. Von dieser Sucht sind in der großen Mehrheit Männer
betroffen. So wie die Arbeitssucht tritt sie meist im Alter zwischen 25 und 35
Jahren auf.
Der Krankheitsbeginn ist meist nicht eindeutig. Die Übergänge sind fließend.
Eine Spielerkarriere kann sich über Jahre, oft auch über Jahrzehnte
„aufbauen“. Meist fängt es harmlos an: ein Besuch auf der Galopprennbahn
oder eine Wette beim Fußball kann schon für Einzelne der Beginn sein. Nur
schleichend verliert der Spieler die Kontrolle, und die harmlose Unterhaltung
kann zur Krankheit werden. Immer häufiger flüchtet der Abhängige dann in
seine Spielwelt, setzt immer höhere Summen ein, kümmert sich immer weniger um
Beruf, Freunde und Familie.
Der Spielautomat scheint dabei die größte Attraktion darzustellen, gefolgt vom
Spieltisch mit Spielen wie Black Jack oder Roulette. Aber auch Pferde- und
Sportwetten sowie Glücksspiele im Internet können abhängig machen. Das
Lottospiel übt keinen so großen Reiz aus, denn es liegt ein zu großer
Zeitraum zwischen Tippabgabe und Ergebnis.
Der Grund, warum ein „Spieler“ fast keinen Tag ohne Spiel aushält, ist eine
innere Anspannung, die sich erst beim Spielen wieder abbaut. Süchtig machen vor
allem Spiele, in denen die Entscheidung über Gewinnen oder Verlieren schon nach
einigen Sekunden fällt. Je höher das Risiko, desto größer der Reiz und die
Erregung. Dem krankhaften Spieler geht es dabei weder um Geld noch um das
Gewinnen. Der Spielsüchtige ist vom Rauschzustand abhängig, in den ihn das
Spielen versetzt. Geld verliert dabei seine wahre Bedeutung und ist nur noch
Mittel zum Zweck. Auf diese Weise verspielen Kranke manchmal ihre gesamte
Existenz und treiben auch die Familie in den Ruin.
Um das Spielen zu verheimlichen, verstricken sich die Abhängigen in Lügengeschichten.
Um überhaupt weiter Geld einsetzen zu können, leihen sie sich die nötigen
Summen mit Ausreden, auch bei Freunden. Sogar zu Straftaten sind die Kranken
bereit.
Eine Studie an der Universitätsklinik Hamburg liefert neue Aspekte zum
Verstehen des pathologischen Spielens. Neurowissenschaftler haben mit Hilfe der
Magnetresonanztomographie ermittelt, dass das Belohnungssystem der Spielsüchtigen
während des Spielens weniger aktiv ist, als bei anderen Menschen.
Der erste Schritt zur Heilung ist, wie bei allen Suchterkrankungen, die
Einsicht. Erst wenn sich der Betroffene eingesteht, vom Spiel abhängig zu sein,
kann ihm geholfen werden. Ob ein Spieler den Weg aus der Sucht mit Hilfe einer
Selbsthilfegruppe schafft, ob er eine ambulante Psychotherapie oder stationäre
Behandlung braucht, hängt davon ab, wie stark die Abhängigkeit ist, wie
belastbar seine zwischenmenschlichen Beziehungen sind und ob zusätzlich weitere
Abhängigkeiten bestehen.
Kaufsucht
Kann Kaufen süchtig machen? Wir kaufen und konsumieren alle. Das gehört zu
unserem Leben. Wenn aber gekauft wird, ohne dass das Gekaufte einen Zweck erfüllt,
sondern der Kauf für sich etwas kompensiert, dann ist das als krank zu
bezeichnen. Kaufsüchtige benutzen das Kaufen, um sich Bestätigung von außen für
ihr niedriges Selbstwertgefühl zu „erkaufen“. Gleichzeitig hält es aber
nur für kurze Zeit ungute Gefühle fern.
Kaufsucht ist eine unauffällige Sucht. In der Regel bleibt sie lange unerkannt,
denn schließlich konsumieren wir alle. Es hat bestimmt auch jeder Mal einen
Trostkauf gemacht und sich im Stillen belohnt für etwas, was nicht so gut
gelaufen ist. Problematisch wird das Kaufen, wenn es zur dominanten Quelle des
Selbstwertgefühls und der Selbstbestätigung wird. Und wenn gleichzeitig
soziale Kontakte, die Familie und Freunde in den Hintergrund treten.
Die Kaufsucht verläuft in der Regel eher anfallsweise. Zwischen den Anfällen können
längere Zeitabstände liegen, manchmal mehrere Tage oder auch ein bis zwei
Wochen. Die Grenze zwischen Kauflust und Kaufsucht ist fließend, aber bestimmte
Muster konnten gefunden werden:
Der Betroffene folgt einem Zwang. Kaufsüchtige haben das Gefühl der
Machtlosigkeit gegenüber dem inneren Drang etwas zu kaufen. Dieser Zwang ist größer
als ihr eigener Wille. Diese Abhängigkeit vom Kaufen führt zum Verlust der
Selbstkontrolle. Die Interessen des Süchtigen konzentrieren sich auf das
Kaufen, das als einziges Befriedigungsmittel übrig bleibt. Und noch ein Merkmal
tritt hinzu: es muss immer mehr sein. Es wird häufiger und teurer eingekauft,
um die gleiche Befriedigung zu spüren. Typisch sind die Schuldgefühle, die auf
die Glücksgefühle sehr schnell folgen. Reue, Scham und Selbstzweifel belasten
den Menschen.
Wie bei anderen Süchten auch können sich sogar richtige Entzugserscheinungen
zeigen. Diese können von einer inneren Unruhe über Unwohlsein bis hin zu
psychosomatischen Erkrankungen und Selbstmordgedanken führen.
Auch diese Sucht entwickelt sich langsam. Und auch hier ist ein Teil der
Problematik unserer Gesellschaft, die eine Anhäufung von Überflüssigem, von
Luxus eher bewundert und so das durch Einkäufe definierte Selbstwertgefühl des
Käufers untermauert.
Wissenschaftler haben beobachtet, dass diese Menschen häufig auch an
Depressionen, anderen Zwängen, Angststörungen, Essstörungen und
Substanzmissbrauch, aber auch zwanghaften Persönlichkeitsstörungen leiden.
|